Weihnachtsfilm-Report '95

Der ganz normale Wahnsinn beim tu film

Anfang '95

Bestellung des Films beim Filmverleih, denn die Nachfrage ist groß.

Do 14.12.

Die Filmkopie "Die Feuerzangenbowle" ist angekommen und ich bereite den Film vor. Für gewöhnlich bedeutet dies, die Werbetrailer auszuwechseln und die einzelnen Akte des Films aneinanderzukleben (Filme werden aus historischen Gründen aktweise, dh. in Teilen von 15 bis 20 Minuten transportiert - das ergibt bei einem normallangen Film ca. 6 Akte -, die mit Start- und Endband versehen sind, da man früher aktweise vorgeführt und von einem Akt zum nächsten übergeblendet hat. Heute ist das nicht mehr üblich. Stattdessen werden jeweils 3-4 Akte auf eine Spule gepackt und nur von einer Spule zur nächsten übergeblendet. Außer man hat nur einen Projektor, so wie wir, dann gibt es eine Pause :-)

Zu guter Letzt gibt es noch die Möglichkeit "vom Teller zu spielen", so man einen hat. Dabei wird der gesamte Film aneinandergeklebt und liegt dann auf einer waagrechten tellerähnlichen Scheibe). Normalerweise benötigt man dazu bis zu einer (maximal eineinhalb) Stunde(n). Nur diesmal war die Kopie in einem sehr schlechtem Zustand und ich war bis tief in die Nacht hinein damit beschäftigt, die Kopie zu restaurieren (schlechte Klebestellen erneuern, ausgerissene Perforationslöcher mit Filmklebeband versehen usw.).

Fr 15.12.

Helmut reklamiert bei der Frau Reifegerste, der Disponentin, die für den Verleih den Einsatz der Feuerzangenbowle organisiert. Sie verspricht uns eine neue, bessere Kopie und sichert und zu, daß wir die alte Kopie bis zum Eintreffen der neuen noch behalten können.

Mo 18.12.

Frau Reifegerste teilt uns mit, daß ein Multiplex-Kino bei Hannover kurzfristig "Die Feuerzangenbowle" ins Programm aufgenommen hat und bittet uns, die Kopie, die wir bereits haben, an dieses Kino weiterzuschicken. Da man für Verluste haftet, die dem Nachspieler entstehen, wenn er die Kopie erst zu spät erhält, bleibt uns also nichts anderes übrig, als dieser Versandanweisung nachzukommen. So geht die alte Kopie am Abend per Bahnexpress auf die Reise nach Hannover und wir stehen vorübergehend ohne Kopie da.

Di 19.12.

14 Uhr:

Ich komme extra früher in den TU-Film. Zum einen, um die Notverpflegung von 20 Brezen für das TU-Film-Team (Weihnachtsfilm ist immer ziemlich stressig) in unserem 'Kabuff' abzuladen, zum anderen, um die neue Kopie vorzubereiten. Doch leider ist noch keine Kopie da.
Ich bin noch nicht einmal die/der Erste. Jochen ist bereits damit beschäftigt, die Wärmebehälter, die wir wie jedes Jahr von der Bundeswehr ausgeliehen haben, zu reinigen.
Dann beginnt der Telefonstreß für mich. Zunächst gilt es Helmut irgendwo in München aufzutreiben, denn er wollte die neue Kopie von der Post abholen. Von ihm erfahren wir dann, daß man ihn dort zum wiederholten Male vertröstet hat, der Film sei noch nicht angekommen.

15 Uhr:

Frau Reifegerste. Sie werden es nicht glauben, sagt sie, aber der Filmvorführer der städtischen Spielstelle in Weimar, wo die neue Kopie zuletzt eingesetzt war, hat den Film schon am Samstag abgeschickt, aber nicht wie telefonisch mit ihm vereinbart an uns, sondern so wie es in seiner ursprünglichen Versandanweisung stand, zurück in das Filmlager in Weiterstadt bei Frankfurt!!! Aber wir brauchen die Kopie ja erst morgen, glaubt sie. Nein!!! Heute Abend, sonst werden wir von 843 enttäuschten TU-Filmlern gelyncht!!!
Der Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Es müßte doch eigentlich zu schaffen sein, den Film als Expreßgut via ICE nach München zu karren...

Man muß sich das so vorstellen, daß Frau Reifegerste wirklich bemüht war uns zu helfen, aber sehr viele unglückliche Umstände gegen uns waren. Auf jeden Fall ging von da an wirklich pausenlos das Telefon, denn sie wollte uns immer auf dem laufenden halten und gegebenenfalls mit uns Rücksprache halten.
Und so folgte eine Hiobsbotschaft auf die andere.
Zunächst hieß es: ein Kurierfahrer muß den Film erst einmal von Weiterstadt nach Frankfurt zum Bahnhof fahren. Der nächst mögliche ICE geht dann um 16.00. München Hbf 20.15. Na toll.
Dann haben die von der Bahn den Film noch lange nicht herausgegeben und vorbereitet ist er erst recht nicht. Bestenfalls können wir also um 20.45 mit dem Hauptfilm beginnen. Gut, daß wir "Der Hahn ist tot" haben.
Apropos: Wo ist der eigentlich!? Aha. Der kommt also, wenn's wahr ist, um 18.00 Uhr mit der Hauspost bei uns an. Helmut kommt auf die glorreiche Idee, weitere Vorfilme vom Cinema Filmtheater auszuleihen. Na also. Das wäre doch gelacht. Irgendeine Lösung gibt es immer!
Nächstes Problem. Wenn wir verspätet beginnen, dauert die Vorstellung länger als bis 22.00 Uhr, bis dahin wir von der TU aus mit der Vorstellung fertig sein müssen. Das bedeutet, auf die Schnelle eine Sondergenehmigung der TU zu erhalten. Die zusätzliche Zeit ist jedoch mit Extraausgaben für den Wach- und Schließdienst verbunden. Frau Reifegerste meint, dafür muß das andere Kino aufkommen, das die Versandanweisung nicht ordentlich befolgt hat, genauso wie für die Bezahlung der Bahn usw.

16:20 Uhr:

Der Kurierfahrer unseres Films ist in Frankfurt im Berufsverkehr in einen Stau gekommen und hat den Zug knapp verpaßt. Der nächste Zug geht eine Stunde später. Also Ankunft jetzt um 21.15 Uhr. Solang können wir die Leute doch unmöglich hinhalten...

Mittlerweile sind wieder ein paar TU-Film-Mitglieder eingetrudelt und Jens meint, Helmuts Chef am Lehrstuhl für Ergonomie ist doch der Sohn von Heinz Rühmann und hat die Orginal-Privatkopie in seinem Besitz. Allerdings auf 16-mm und nicht auf 35-mm. Tja, wo ist Helmut!? Noch unterwegs wegen der Vorfilme. Und falls wir wirklich die Kopie bekommen sollten, dann bräuchten wir noch zusätzlich einen 16-mm-Projektor!
Aber wir rufen doch nicht den Kinotechnik-Notdienst an, um einen solchen Projektor auszuleihen, bevor wir nicht sicher wissen, daß wir den Film auch bekommen. Dieser ist bis 18.00 zu erreichen. Es bleibt also noch etwas Zeit. Vielleicht kann Frau Reifegerste weiterhelfen? Und tatsächlich lenkt sie nach einer Weile ein, es gäbe da noch eine weitere (35-mm) Kopie im Raum München, von der sie gehört habe. Sie bietet an, das Kino anzurufen, das diese Kopie im vergangenen Jahr gezeigt hat, und herauszufinden, woher diese stammte, obwohl das sicher nicht im Sinn ihres Verleihs war..

16:50 Uhr:

Der Fahrer unseres Films drückt die Kopie nicht einem Schaffner in die Hand, sondern gibt sie brav an einem Schalter auf. Aber wie das bei der Deutschen Bundesbahn nun einmal so ist, sind natürlich gewisse Mindest-Bearbeitungszeiten erforderlich, so daß es nicht möglich ist, den Film noch in den ICE zu verfrachten. Wieder eine Stunde mehr Verspätung. Ankunftszeit also 22.15 Uhr und damit nicht mehr akzeptabel. Jetzt muß schleunigst etwas geschehen. (Hätten wir doch bloß darauf bestanden, den Film nach München fliegen zu lassen...) Frau R. meldet, diese spezielle Kopie sei aus einem Münchner Film-Archiv entliehen gewesen. Sie wird es dort probieren.

Endlich ist Helmut da. Parallel soll er nun versuchen, Herrn Prof. Rühmann zu erreichen, da noch nicht sicher ist, ob Frau Reifegerste die Kopie aus dem Film-Archiv beschaffen kann. Um unser Telefon für Rückrufe von Frau Reifegerste nicht zu blockieren, sammeln wir unter uns alle Telefonkarten ein und bereichern die Telekom, indem wir öffentliche Telefonzellen mitbenutzen. Zunächts einmal gilt es, Herrn Rühmanns private Nummer herauszufinden (über Kollegen). Und dann folgt ein richtig spannendes Gespräch, wo wir alle an Helmuts Gesicht abzulesen versuchen, ob er Erfolg hat oder nicht. Erstaunlicherweise ist Herr Rühmann sofort bereit, uns zu helfen. Er meint nur, daß er bei seiner letzten Vorführung ein wenig Filmsalat hatte. Er wird den Film in ein Taxi legen und etwa 40 Min. später soll es bei uns ankommen. Jäh.

Dazwischen kam noch die Nachricht von Fr. R., daß das Film-Archiv bereits geschlossen sei. Es geht schon auf 18.00 Uhr zu. Jochen ruft den Notdienst einer Kinotechnik-Firma an, Martin bei der TU Verwaltung (Privatnummer, denn um diese Zeit ist natürlich niemand mehr da), um die Erlaubnis zu erwirken, den Hörsaal länger benutzen zu dürfen. Jens geht los, um das wachhabende Personal auf den verlängerten Abend vorzubereiten (zum Glück sind die Wachleute TU-Film-Fans) und wieder andere, um dem Personal der Mensa, das für uns den Glühwein erwärmen soll, Bescheid zu sagen, daß sie erst später anfangen sollen.
Doch was ist das?
Kein Glühwein da! Manfred, der für die Bestellung des Glühweins verantwortlich war, erzählt später, daß er den ganzen Nachmittag vergeblich versucht hat, uns anzurufen (war immer besetzt). Die Firma, die den Glühwein liefern sollte, konnte oder wollte nicht und sagt kurz vor knapp ab! So ist er gezwungen in Münchner Großmärkten die benötigte Menge aufzutreiben. Bis er gegen 18.30 Uhr endlich auftaucht, sitzen wir auf Kohlen und können uns nur noch wundern, was wohl noch alles schiefgehen wird.
Aber das ist noch das kleinere Übel: beim Kinotechnik-Notdienst sind beide lichtstarken 16-mm- Projektoren zur Zeit verliehen. Einer von beiden hätte zwar schon seit einiger Zeit zurück sein sollen, aber er steht noch in einem Theater. Dort ist jedoch gerade Aufführung und deshalb hat gerade niemand Zeit, ins Nebengebäude zu gehen und den Projektor herauszugeben.

18:30 Uhr:

Unsere Anlage ist schon längst aufgebaut, "Der Hahn ist tot" angekommen, an die Werbung angeklebt (plus die drei zusätzlichen Zeichentrick-Vorfilme) und in unseren Projektor eingelegt, aber wir beschließen, noch nicht den Eingang zu öffnen, bevor wir nicht wissen, daß wir überhaupt einen 16-mm-Projektor organisieren können. Natürlich wissen wir, daß die Wahnsinnigen vor der Tür sich wieder drängen wie die Verrückten. Aber da sich immer wieder Leute bei uns erkundigen, was los ist, und von den Umständen erfahren, hoffen wir, daß sich das irgendwann rumspricht und die Masse sich beruhigt.

18:40 Uhr:

Kinotechnik-Notdienst bietet uns einen lichtschwachen 16-mm-Projektor an, der nur über eine 250-W-Lampe verfügt.

18:50 Uhr:

Frau Reifegerste hat ein Kino in München gefunden, das uns einen adäquaten Projektor mit 550 W leihen möchte. Martin und Manfred rasen mit dem Auto los. Das Taxi mit der Rühmann-Kopie ist angekommen. Gleichzeitig kommen zwei Techniker mit dem leistungsschwachen Projektor an, den wir zwar nicht mehr brauchen, dafür aber umso mehr die leeren Spulen, die mit dabei sind. Sonst könnte man erst gar nicht anfangen, den Film herzurichten. Leider haben die beiden die Klebepresse vergessen. Fr. R., die inzwischen nach hause zu ihrer Tochter gefahren ist, und immer noch regelmässig anruft (aus dem Ruhrgebiet!!), weil sie sich einfach für den Fortgang unseres Chaos interessiert, hat die gute Idee, sich eine Klebepresse doch einfach vom Cinema zu leihen, da es am nächsten liegt. Also zieht wieder einer los.

19:15 Uhr:

Die Menge unten drängelt immer mehr. Wir müssen sie einlassen.
Jemand holt den Glühwein von der Mensa ab.
Vergeblich versucht Helmut, unseren Projektor zu starten. Eine dreiviertel Stunde lang fliegt immer die Sicherung raus, wenn er die Lampe zündet. Die Rühmann-Kopie ist teilweise in einem sehr schlechten Zustand, vor allem an der Stelle, an der es mal Filmsalat gegeben hatte. Sie muß also auch noch restauriert werden, bevor man es wagen kann, sie durch den Projektor laufen zu lassen.

20:00 Uhr:

Endlich Beginn. Der 16mm-Projektor ist auch schon da, der Film fertig vorbereitet.

21:15 Uhr:

Der Hauptfilm beginnt. Nachdem endlich alles glücklich läuft, verabschieden sich die Leute vom Kinotechnik-Notdienst. Frag nicht, was das wieder gekostet hat...
Helmut, Jochen und ich unterstützen den Motorantrieb des Projektors manuell, weil sich der Film aufgrund der vielen, vielen Klebestellen (man bedenke das Alter) nur schwer abrollen läßt. Erst als die ehemalige Filmsalatstelle glücklich durch den Projektor ist, ohne daß es einen Filmriß gegeben hat, glauben wir, es kann nichts mehr schiefgehen.
Um 22.15 Uhr ist Martin am Bahnhof, um unsere 35-mm-Kopie abzuholen (brauchen wir ja noch am Donnerstag). Es dauert eine geschlagene halbe Stunde bis die Bahn den Film rausrückt. Gut, daß wir nicht mehr darauf angewiesen sind.

23:30 Uhr:

Der Film ist zu Ende. Gerade noch in der Zeitfrist, die uns die TU Verwaltung für diesen Abend zugestanden hat!
Schade, daß der Hörsaal mal wieder so dreckig ist. Wir brauchen eineinhalb Stunden, um ihn zu putzen. Muß das sein?
Ausserdem hab ich noch nebenbei den Weihnachtsfilm jetzt schon zum dritten Mal vorbereitet.

By the way:

Ich glaube, es ist klar geworden, warum wir an diesem Abend keinen Kartenvorverkauf mehr gemacht haben. Letztendlich hatten wir auch keine Hand mehr frei für den Vorverkauf!
Ich war an diesem Tag ganze 11 (in Worten: elf!) Stunden beim TU-Film.

Dagmar, 10.02.1996